Lebenszeichen von Frank in Corona-Zeiten am 14.9.2020

Frank Witzel
2 min readSep 14, 2020

Systemrelevant?

Ist die Kreuzkirche unwichtig, manchmal wichtig, meist wichtig oder sogar systemrelevant?

In Deutschland wird in der Presse und in kirchlichen Kreisen schon seit Längerem diskutiert, ob und inwiefern die Kirche, insbesondere unsere evangelische Kirche “systemrelevant” ist.

Nun habe ich die Debatte auch in Österreich entdeckt. Hier ist die evangelische Kirche ja viel kleiner und “nebensächlicher”. In Wien meldete sich der Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner zu Wort. Unter dem Titel “Ethik in Zeiten von Corona” lud er zu einem online-Seminar ein. Im Zuge dessen stellte er fest: “Religion ist in der säkularen Gesellschaft nicht systemrelevant.”

Das merkt zurzeit jede/r. Baumärkte haben weniger Probleme, ihre Dienste anzubieten als Kirchen. Die Presse hat alles aufmerksam beobachtet und kommentiert. Menschen, die sich der Kirche verbunden fühlen, könnten darüber klagen. Manche tun es auch.

Ich will heute einen anderen Akzent setzen: Gott sei Dank ist die Kirche nicht systemrelevant!

Jesus und Paulus haben “die Welt” eher kritisch gesehen. Ihre Empfehlung war, es ihr nicht gleich tun zu wollen.

Nachfolge ist nach dem historischen Jesus nicht dafür da, der Reparaturservice des “Systems” zu sein. Sie ist ihr Widerspruch. Sie steht für das neue Jerusalem und nicht für “Babylon”. Die Apokalypse wusste es noch: Die Machtverstrickungen des öffentlichen und staatlichen Lebens sind unerlöst. Es geht im Glauben auch darum, eine echte Alternative zu bieten, eine Kontrastgesellschaft. Kirche könnte zu sich selbst und zu ihrem Auftrag finden, wenn sie “Sand im Getriebe” des Systems ist.

Könnte es sein, dass Corona uns auch herausfordert, was unser “Eigentliches” ist, für das wir auch gern und profiliert in den Widerspruch gehen?

Eine der wichtigsten spirituellen Suchfragen der “Geistlichen Begleitung” lautet: “Was muss zerbrechen, damit Neues aufbrechen kann?”

Vielleicht werden wir Gott bald danken, dass wir nicht systemrelevant waren oder sind. Oder, um es mit der Reggae- und Rastafari-Kultur zu sagen, aus dem “Babylonsystem” gibt es als gute Alternative nur den “Exodus.”

Ich kann mich auf jeden Fall erinnern, dass uns diese Gedanken im Theologie-Studium und in der politischen Arbeit wichtig waren. Das ist schon lange, fast 40 Jahre, her. Nun beschäftigt uns eher die gesellschaftstragende Zivilreligion. Vielleicht wäre eine Akzentverlagerung hin zur prophetischen Kritik eine angemessene Zeitansage.

Vielleicht.

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Frank Witzel

Evangelischer Pfarrer, Traumatherapeut und Biker in der evangelischen Kirchengemeinde St. Thomas in Augsburg.