Lebenszeichen von Frank am 22.9.2022

Frank Witzel
2 min readSep 22, 2022
ewiges Leben: Chiffre für den Anschluss, die Verbundenheit mit dem Unsichtbaren

Gerade habe ich meine Blog-Einträge vom Jahr 2020 unter dem Stichwort “Lebenszeichen in Corona-Zeiten” überflogen. Sie waren getragen von der Überzeugung im Hintergrund: Corona ist eine Krise und damit auch eine Chance, Neues und Wichtiges zu lernen. Es geht um den Lernschritt, dass wir gemeinsame (globale) Probleme nur gemeinsam (global) lösen können. So verwandeln wir, die Menschheitsfamilie, Probleme in Projekte. Diese Kompetenz brauchen wir, um die wirklich dringenden Probleme der Menschheitsfamilie zu lösen, nämlich die Spaltung in Reich und Arm. Das Gerechtigkeitsproblem ist das eigentliche Problem unserer Welt. Von dort heraus lassen sich die anderen Probleme und Krisen (Ökologie, Klima, Corona, Frieden und Krieg, Populismus, Autokratien usw.) verstehen und entschlüsseln. Die spirituelle Dimension dieser Herausforderung ist: Wie kann die Seele wirklich verstehen, dass wir zusammen gehören und füreinander da und verantwortlich sind? Wie kann aus dieser tiefen Einsicht das angemessene Handeln wachsen? Der Glaube sagt: Wir haben etwas miteinander zu tun, weil Gott unser aller himmlischer Vater bzw. Ursprung ist, der (oder die oder das) empathisch will, dass wir geschwisterlich leben.

So weit so gut.

Allerdings ging die Corona-Krise von 2020 bis 2022 in eine neue Phase über. Wir hatten gar keine Zeit zum Lernen. Aus der relativ überschaubaren Krise, die ein Lernmoment hätte sein können, wurde eine Multi-Krise. Viele Krisen überlappen sich und beeinflussen sich gegenseitig. Wir kommen nicht aus. Dies hat die Struktur eines kollektiven Traumas. Es ist bedrohlich. Wir können nichts dagegen tun. Es betrifft alle und bietet keine Schutzräume. Wir werden vereinzelt.

Folge ist: Es treten Dissoziationen auf. Vernünftiges, ziel- und lösungsorientiertes Kommunizieren und Handeln wird immer schwieriger. Wir werden kälter und unglücklicher.

no fight — no flight — freeze

Der Traumatherapeut in mir weckt den tröstenden Seelsorger und den organisierenden und nach außen kommunizierenden Pfarrer in mir. Er ruft: Wach auf! Wir brauchen Spiritualität, um uns verbunden zu fühlen — miteinander und mit der unsichtbaren Welt! Fang an, deinen Job zu tun!

Der Pfarrer in mir schaut umher und sucht die Leute, mit denen sich Anschluss, Beziehung, Verbundenheit und Gemeinschaft organisieren lässt mit Wertschätung und — ja, das meine ich ernst — Liebe zu allem. Der Seelsorger in mir sucht den Pfarrer, weil er versteht, dass “Anschluss”, Beziehung und Gemeinschaft auch organisiert werden muss.

Corona ist in seiner krisenhaften Mehrdimensionalität eine seelsorgerliche und kirchliche Aufgabe. Ich bitte den Herrn, den Heiligen Geist bzw. “Geistin” der Kirche, um seinen bzw. ihren Segen, damit wir hier Gutes bewirken können.

Und außerdem: Nach Meinung zumindest der evangelischen Christenheit sind wir alle(!) Kirche. Darum bekennen wir auch die “eine, heilige, christliche Kirche” im Glaubensbekenntnis. Echt blöd, dass die organisationsfähige Kirche auch in einer Krise ist. Hilfe! Bitte!

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Frank Witzel

Evangelischer Pfarrer, Traumatherapeut und Biker in der evangelischen Kirchengemeinde St. Thomas in Augsburg.